The Horror at Red Hook (Das Grauen in Red Hook) geht auf Lovecrafts Erfahrungen in New York zurück. Die Story ist veranlasst und geprägt von Fremdenfeindlichkeit und stellt in dieser Beziehung einen traurigen Höhepunkt in Lovecrafts Werk da. Auch die wilde Phantastik, eine Mischung aus Satanismus, Kabbalismus und Dämonologie, mag nicht jeder goutieren …
Unterm Strich aber sind es diese Zügellosigkeiten, die einen während der Lektüre nicht kalt lassen. Die Idee des Fortbestehens eines magischen Systems aus der Urzeit der Menschheit in das gegenwärtige New York hat immerhin ihren Reiz. Nicht zuletzt ist The Horror at Red Hook ein bescheidener Beitrag zu dem interessanten Subgenre der okkulten Detektiv-Geschichte.
Download: Arkham Insiders Folge 142 – The Horror at Red Hook
29. April 2020 um 00:43 Uhr
Hallo Insiders,
das war wieder ein interessant zu hörender Podcast, den Ihr da gemacht habt!
Was die Frage nach dem Platz der Geschichte in Lovecrafts Gesamtwerk angeht, finde ich, dass „The Horror at Red Hook“ schon sehr deutlich den Weg in Richtung „The Call of Cthulhu“ weist. Ihr habt ja auch erwähnt, dass Lovecraft zu der Zeit schon (im Geiste?) an „The Call of Cthulhu“ bearbeitet hat.
Der Umstand, dass das Böse mannigfache maritime Verbindungen hat, spielt hier eine Rolle. Die „Teufelsanbeter“ werden von See her durch verborgene Kanäle in die Stadt gebracht und auch der Zugriff Liliths/ ihres Dämons findet auf See statt. Da ist m.E. der „nautical looking Negroe“, der Prof. Angell auf dem Gewissen hat, nicht mehr fern.
Auch die Entführungen und Opferungen durch einen uralten Kult würden manch einem Sumpfbewohner aus der Umgebung von New Orleans sicher bekannt vorkommen.
Wenn man Lilith und ihre Dämonen durch Große Alte ersetzt, hat man eine lupenreine Mythosgeschichte. „The Horror“ gewinnt für mich seinen Reiz daraus, dass man die Genese der Idee zu den ikonischen Geschichten Lovecrafts nachvollziehen kann.
Übrigens gibt es den von Mirko gewünschten Film auf gewisse Weise bereits. Die entsprechende Episode des Dark Adventure Radio Theater kommt dem schon sehr nahe und ist nicht nur wegen des sehr stark irisch eingefärbten Englisch sehr zu empfehlen.
LG
John
29. April 2020 um 07:46 Uhr
Hallo John,
vielen Dank für deine Anmerkungen! Du hast Recht, gerade der Aspekt der kultischen Verehrung und der willigen Helfer/Kultisten erinnert sehr an „The Call of Cthulhu“.
Thema: maritimer Horror. Das hatte ich mir noch notiert, kam aber im Podcast nicht dazu. Wenn ich etwas von Mord und Totschlag in einer Schiffskabine + einem offenen Bullauge höre, denke ich sofort an Francis Marion Crawfords „The Upper Berth“ („Die obere Koje“).
Viele Grüße
Axel
30. April 2020 um 10:59 Uhr
Sehr interessant! Habe die Geschichte länger nicht mehr gelesen, aber vor ein paar Jahren ein daran angelehnte Rollenspielszenario, in dem die Spieler und Spielerinnen je nach Kapitel verschiedene daran beteiligte Gruppen spielten. Ich freue mich darauf, mal Zeit für die Geschichte zu finden, mit all ihren Ansätzen und Fehlern.
Einspruch aber bei Raymond Chandler als großem Plotter: Er sagte selbst von sich, wenn ihm nicht einfällt, wie es weitergehen soll, dann lässt er einfach einen Mann mit gezogener Pistole durch die Tür stürmen. Und so liest sich das auch manchmal. Großer Chandler-Fan hier, aber es gibt auch die Anekdote, dass er bei den Dreharbeiten zu The Big Sleep angerufen wurde, weil beim Film niemandem klar war, wer denn eigentlich für den Tod einer bestimmten Nebenfigur verantwortlich war: Chandler wusste es auch nicht.
30. April 2020 um 15:20 Uhr
Okay, ich rudere zurück bei Chandler, von dem ich dann doch zu wenig gelesen habe. Das war aus der Hand heraus geschüttelt. Vielen Dank jedenfalls für die amüsante Anekdote um den unbekannten Mörder …
Viele Grüße
Axel
5. Mai 2020 um 20:57 Uhr
Moin. Und allerbesten Dank Euch beiden – mal wieder – für Unterhaltung und Erleuchtung.
Was den Rassismus angeht hatte ich das Glück, dass ich ‚Red Hook‘ erst später las, als ich mit dem kosmischen Grauen Lovecrafts schon vertraut war. Für mich waren daher, zumindest beim Lesen, die beschriebenen Kultisten immer boshafte, verdorbene Charaktere aus unterschiedlichen Völkern, aber nicht repräsentativ für letztere. Übertrieben degenerierte Subjekte, vielleicht nicht einmal ‚richtige Menschen‘ sondern Hybride á la Innsmouth oder mit Tcho-Tcho Einschlag. Anhänger also jener weit vormenschlichen Kulte und Entitäten des lovecraftschen Mythos, deren Gegenwart ein überreizter Geist wie der Malones nur verarbeiten kann, indem er sie in ihm vertraute Bilder christlicher und jüdischer Mythologie übersetzt.
Zugegeben, dafür muss man über einige *hüstel* unschöne Formulierungen sehr dickfellig hinweglesen, aber so lässt sich zumindest eine ordentliche Schippe böser Spaß aus dieser Okkultismus-Kirmes ziehen, ohne sich an völkischen Widerwärtigkeiten oder allzu abgeschmackten Topoi zu stoßen.
Was mir aber in der Gegenwart zu denken gibt ist, dass HPL wohl selbst in seinen ethisch garstigsten Augenblicken das eigene Werk immer als Fiktion, bestenfalls als Allegorie ansah.
Aktuell jedoch marodiert eine wachsende Anzahl von Menschen mit Verschwörungstheorien umher, gespeist aus dem QAnon-Geschwurbel, die genau diese fiktiven Szenarien tödlich ernst nimmt. Tunnel unter New York, entführte und ‚gezüchtete‘ Kinder, ewige Jugend für gesellschaftliche Eliten, Teufelskult etc.
Man fragt sich, wie viel Einfluss ein Lovecraft unabsichtlich mit gerade jener Geschichte auf das Dekor dieser paranoiden Konstrukte gehabt haben mag.
26. Juli 2023 um 09:40 Uhr
Nach drei Jahren ein recht willkürlicher und vielleicht etwas bizarrer Nachtrag meinerseits, da es mir gerade bei einer True Crime Rekapitulation auffiel.
In Kritiken zu ‚The Horror at Red Hook‘ wird sich ja immer wieder gern über die ‚unwahrscheinliche‘ Figur des Detective Malone amüsiert.
Ein Emigrant aus dem bäuerlichen Irland, der sich zum New Yorker Cop hochgeschuftet hat und dennoch über eine klassische und studierte Bildung und einen scharfen, analytischen Geist verfügt.
Offensichtlich die gänzlich unglaubwürdiger Charakterschöpfung eines weltfremden Autoren, möchten viele meinen.
Diesen Kritikern möchte ich fortan den realen New Yorker Detective Timothy Dowd entgegenhalten, der in den siebziger Jahren den, als ‚Son of Sam‘ bekannt gewordenen Serienmörder David Berkowitz jagte und überführte.
Dowds Person scheint in der Figur des Malone auf beinahe unheimlich Art vorweggenommen zu sein, zumal auch der besagte Mörder in Briefen bemüht war, sich einen okkulten Hintergrund zu geben, dabei allerlei biblische Dämonologie anführte und auch von Blut fabulierte, dass besagter ‚Sam‘ (als Synonym für den Teufel) zur Verjüngung brauche.
Dowds Biographie liest sich in Kürze wie folgt:
„Timothy Joseph Dowd was born in County Kerry, Ireland, on May 30, 1915. His parents, Timothy Dowd and the former Margaret O’Sullivan, were farmers until they moved the family to the United States during the Depression — first to Boston, where they operated a rooming house, and eventually to New York.
Young Timothy joined the police force in 1940. He earned a bachelor’s degree from City College of New York and later a master’s degree in public administration from Baruch College. Early in his law enforcement career, he was a member of the mounted police, and he was later a detective in the homicide and narcotics squads.
For his work on the case, he received a rare promotion of two ranks, from deputy inspector to deputy chief. He retired the next year.“
Zudem hatte er seinen Abschluss in Latein und Englisch.
Mit anderen Worten: Man kann ‚The Horror at Red Hook‘ mit gutem Gewissen vieles vorwerfen, aber meiner Meinung nach nicht die Gestalt des Protagonisten. Ein ungewöhnlicher Charakter vielleicht. Aber nicht unglaubwürdig oder gar unmöglich, wie die Realität im Nachhinein beweist.