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Die Hochzeit mit Sonia Greene im März 1924 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in Lovecrafts Leben. Dies gilt vor allem für den Umzug von Providence nach New York. Notgedrungen wird er 2 Jahre lang in der Stadt bleiben – um sie dann mit spürbarer Erleichterung wieder verlassen zu können.
Bis es soweit ist, werden noch viele Podcasts der Arkham Insiders vergehen. In dieser Folge werfen wir noch einmal einen Blick auf Lovecrafts literarisches Selbstverständnis zu Beginn der 1920er Jahre. T. S. Eliot, James Joyce oder James Branch Cabell waren Autoren, die den literarischen Zeitgeist repräsentierten. In der Auseinandersetzung mit ihnen musste Lovecraft über seinen Schatten springen und sein geliebtes 18. Jahrhundert überwinden. Dass er durchaus nicht nur rückwärtsgewandt war, zeigt die Beschäftigung mit Sigmund Freud oder Albert Einstein. Wissenschaftler, die auch ein H. P. Lovecraft nicht ignorieren konnte.
„Der Einsiedler aus Providence“ im Spannungsfeld der Moderne. Das von Mirko vorgetragene Zitat zu Beginn des Podcasts zeigt, dass hier Dinge in Bewegung geraten sind. Lovecraft löst sich von bisherigen Verhaltensweisen, öffnet sich neuen Ansichten und kommt bisweilen zu erstaunlichen Synthesen zwischen seinen Idealen und seiner Umgebung. Gleichwohl wird die New Yorker Zeit, mit der wir uns ab Episode 67 beschäftigen werden, zur persönlichen Zerreißprobe für ihn.
Download: Arkham Insiders Folge 66 – Lovecraft im Wandel
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17. Mai 2016 um 21:57 Uhr
Liebe, guten Leute,
ich bin immer wieder irritiert oder besser gesagt erheitert, wenn erklärt wird, H. P. Lovecraft hätte nicht über Eros geschrieben. Ich kenne wohl kaum keinen Schriftsteller, der MEHR Sex in seinen Texten hat. Natürlich kommen bei Lovecraft keine erregten menschlichen Körper in persona vor. So trivial war er natürlich nicht. Aber dieser ganze Schleim, dieser ganze Fischgeruch, diese ganzen finsteren, bodenlosen Abgründe und insbesondere diese immer und immer wiederkehrenden, monolithischen, sich dem Himmel massiv entgegenreckenden Säulen. Hallo? Das ist derbster Hardcore!
Und dann noch diese Früchte (die Mischwesen) der Unzucht mit anderen Spezies. Krasser geht es ja wohl kaum!
Grüße
Michael
http://www.michaeltillmann.de
18. Mai 2016 um 06:54 Uhr
Hallo Michael,
wenn ich, wie in der Episode, sage, dass er das Thema ausgeklammert hat, dann meine ich immer: auf der obersten Ebene. Die Unzucht mit Mischwesen setzt freilich Sexualität voraus. Doch ging es ihm darum? Ich meine, dass HPLs Themen eher Degeneration und Werteverfall sind. Und natürlich Verbindungen, die es „eigentlich“ nicht geben darf. Dass er solche Verbindungen nicht immer nur durch Unzucht löste, zeigt etwa die Story „Imprisoned with the pharaohs“. Dort werden ja Tier- und Menschenmumien von dritter Hand (d. h. schändlichen Priestern) miteinander verquickt.
Die anderen Dinge, die Du ansprichst:
Vielleicht mögen sich dazu noch andere Hörerinnen und Hörer äußern; wir stellen das gerne zur Diskussion.
Grüße
Axel
18. Mai 2016 um 08:46 Uhr
Werter Herr Tillmann,
Ihre Hermeneutik in allen Ehren, aber solche Behauptungen als Tatsache hinzustellen, ist schon recht seltsam. Vielleicht sagt dies mehr über den Leser aus als über den Autor.
Man kann natürlich Freud und Epigonen bis dort hinaus bemühen, um bei Lovecraft solche Dinge zu finden; wobei es da teils auch für diese Verhältnisse recht derb zugeht in Ihrer Interpretation. Ohne literaturgeschichtliche und biographische Beweisführung bleiben Ihre tollen Ideen aber eben nur das.
Beste Grüße
18. Mai 2016 um 14:57 Uhr
Die Psychoanalyse ist häufig schnell und einfach bei der Hand; die Gefahr ist, dass der Nutzen dabei nicht auf der Strecke bleibt. Eine Beschäftigung in diese Richtung bei Lovecraft beweist mir persönlich tatsächlich meist eher, wie wenig sie zutrifft, auch wenn sich selbstredend Anknüpfungspunkte finden lassen.
Ich schließe mich Nils an. Plumpe Muster zu bilden und dann auf einen Autor anzuwenden, halte ich für die falsche Herangehensweise. Auf jede möglicherweise passende Stelle finden sich zwei, die man dann biegen müsste. Einen anderen Fokus halte ich nicht nur für gehaltvoller, sondern auch zutreffender.
18. Mai 2016 um 21:48 Uhr
Einen herzlichen Dank für die rege Diskussion!
Ich erlaube mir zwei weitere Bemerkungen dazu zu machen:
1) Meine Gedanken kommen mit Nichten aus der Psychologie. Psychologie ist mir persönlich viel zu anthropozentrisch. Was ist schon der Mensch? Ein Affe mit einer 2% Genmutation. Ich leite meine Weltanschauung z.B. zum tierisch-/menschlichen Verhalten etc. viel mehr direkt aus der Naturwissenschaft, in diesem Fall der Biologie ab. Ich habe es allgemein mehr mit Sozio-Biologen wie Edward O. Wilson, denn hier wahrscheinlich kaum einer kennt. Vielleicht ist wenigstens Richard Dawkins bekannt? Jedenfalls interessiert Freud mich kaum. Das nur zur allgemeinen Klarstellung.
2) Ist es nicht zu einfach meine Ansichten als plump zu bezeichnen? Es gibt mindestens noch einen anderen Autoren, der zu einem viel herberen Urteil über Lovecraft kommt. Wobei ich ganz ausdrücklich anmerke, daß ich mich hier nicht nur auf die Sexualität, sondern auf Lovecrafts ganzes Wesen als Mensch beziehe. Die Rede ist von Michel Houellebecq und seinem Lovecraft-Essay „Gegen die Welt, gegen das Leben“. Das Houellebecq eine bedeutende Stimme ist, wird wohl niemand ernsthaft abstreiten können. Daher wundere ich mich, daß seine Interpretation des Menschen Lovecrafts bei den Arkham Insiders hier selten (oder noch nie???) eingeflochten wurde. Immer nur Joshi oder de Camp. Es langweilt. Verlasst die Wohlfühlzone! Zum Beispiel wurde hier lange über Lovecrafts Ausländerfeindlichkeit diskutiert. Sichtlich war das allen Peinlich. Aber man muss das offensichtliche aussprechen. Houellebecq nennt, wenn ich mich richtig erinnere, Lovecraft ganz ohne Umschweife einen Rassisten.
FAZIT: Warum werden die derben Interpretationen zu Lovecraft nur mit der Kneifzange angefasst? Lovecraft ist viel, viel dunkler als viele Leute wahrhaben wollen. Wir Menschen sind viel, viel dunkler als viele Leute es wahrhaben wollen.
Hochachtungsvoll
M. Tilllmann
http://www.michaeltillmann.de
19. Mai 2016 um 04:50 Uhr
Hallo Michael,
Houellebecq kennen wir durchaus (und haben ihn auch schon erwähnt … aber frag‘ mich bitte nicht, wann und wo). Unsere Absicht ist es, mit dem Podcast weitestgehend unbekannte Informationen aus Lovecrafts Biografie zu präsentieren und zu besprechen. Mit Interpretationen oder gar Spekulationen halten wir uns zurück (auch wenn sie gelegentlich vorkommen). Meinetwegen mag das Sache der Zuhörer bleiben, – so wie es ja jetzt geschieht. Es ist begrüßenswert, wenn Dinge aus dem Podcast hier im Kommentar Thread weiter diskutiert werden.
Zum Thema Rassismus wird aber noch mehr kommen und wir haben nicht vor, hier eine Blatt vor den Mund zu nehmen. Das Thema steht in absehbarer Zeit an und kommt im Rahmen der New Yorker Periode zur Sprache.
Grüße
Axel
19. Mai 2016 um 08:59 Uhr
„FAZIT: Warum werden die derben Interpretationen zu Lovecraft nur mit der Kneifzange angefasst?“
Das ist sicher dem Umstand geschuldet, dass reißerische/derbe Interpretationen in der Regel mehr über die Intention des Interpreten aussagen, als über den Interpretierten. Wenn man einen „noch nie zuvor angesprochenen Skandal“ entdeckt haben will, wirf das ja vor allem einen Fokus auf den Interpreten. Beispiel die Goldhagen-Debatte der 90er Jahre im Umgang mit deutscher Geschichte.
„Immer nur Joshi oder de Camp. Es langweilt. Verlasst die Wohlfühlzone!“
Wenn die Arkham Insiders sich auf die amerikanischen Autoren beziehen, dann weil diese beiden (in unterschiedlicher Qualität) sich großflächig mit den Primärquellen auseinandergesetzt haben. Ich gestehe, dass ich Houllebecq nicht gelesen habe, aber ich unterstelle diesem recht kurzen Text, dass er nicht -wie zum Beispiel Joshi- die Fülle an Quellen gesichtet hat (Immerhin beschäftigt sich Joshi seit seinem Studium fast permanent mit Lovecraft). Natürlich kann es sein, dass der fragwürdige Franzose nach Amerika gereist ist und 1-2 Jahre die Brown-Bestände gesichtet hat, aber das bezweifle ich. Sollte dem doch so sein, bräuchte ich dafür Belege.
Der Unterschied zwischen Skandalgetrommel und seriöser Wissenschaft ist nunmal, dass die Qualität der beteiligten Stimmen abgewogen werden. Natürlich redet man dann mehr über die Trommler (bsp. Sarrazin 2010), das macht ihre Aussagen aber qualitativ nicht wertiger.
19. Mai 2016 um 09:06 Uhr
Genau so ist es. Houellebecq ist in dem Zusammenhang einfach nicht ergiebig genug. Mich (Axel) drängt es auch nicht zur Interpretation. Ich sehe immer nur den Berg unerledigter Arbeit an Daten und Fakten vor mir. Dass das nicht immer unterhaltsam ist, ist klar. Auch den Vorwurf der Langeweile müssen wir uns dann wohl gefallen lassen.
19. Mai 2016 um 18:28 Uhr
Zitat „derträumer“:
„Immerhin beschäftigt sich Joshi seit seinem Studium fast permanent mit Lovecraft“
Dieses Argument ist sehr dünn. Denn es ist bekann, daß bei vielen Menschen, die sich zu lange mit einer Sache beschäftigen, unter Umständen das Phänomen der sogenannten BETRIEBSBLINDHEIT auftreten kann!
Auch die in dieser Diskussion getätigte Aussage, daß extreme Meinungen viel über die Personen aussagen, die diese Meinung vertreten, kann man immer und überall gegen alle unliebsamen Meinungen anwenden. Wenn man etwas aber immer und überall anwenden kann, so spricht man von einer sogenannten Phrase.
Ich habe übrigens niemals die Qualität der Insider angezweifelt. Mir geht es mehr darum, dass man, wenn man ein Phänomen wie Lovecraft von allen Seiten beleuchten will, den Kommentar einer so wichtigen Person der Zeitgeschichte wie den „fragwürdigen Franzosen“ auch gebührend darstellen sollte. Ihr wollt doch alle Seiten beleuchten, oder?
Grüße
Michael
20. Mai 2016 um 19:41 Uhr
„Dieses Argument ist sehr dünn. Denn es ist bekann, daß bei vielen Menschen, die sich zu lange mit einer Sache beschäftigen, unter Umständen das Phänomen der sogenannten BETRIEBSBLINDHEIT auftreten kann!“
-> Das ist doch aber auch ne Phrase?!
Aber Spaß bei Seite.
Wenn man ein Thema wissenschaftlich betrachtet (und ich empfinde die Insider eher als wissenschaftlich als journalistisch) sollte man sich natürlich an den Publikationen orientieren, die Standartwerk-Charakter haben, zumindest solange man das Rad nicht neu erfinden will (und ich glaube das Europäer in der Regel schwer an die Materialien kommen, die irgendwo unveröffentlicht in irgendwelchen amerikanischen Town Halls oder Historical Societies liegen, oder andere Orte, wo man noch wirklich „Neues“ zu HPL finden könnte).
Und außerdem, und das hat Axel ja bereits erwähnt, wollen die Insider in erster Linie historische Fakten aufarbeiten und weniger Interpretation betreiben. (Übrigens wie sie irgendwo bei einer der ersten Folgen auch erwähnen, orientiert an der Biographie „I am Providence“ von Joshi; eben, weil es, neben der von de Camp, die einzige ausführliche Biographie über HPL ist.)
Außerdem haben sich ja unter anderem Arno Schmidt, Stephen King und Guilermo del Toro zu HPL geäußert. Ich finde es nicht schlimm, wenn man nicht jede Stimme zu Wort kommen lässt. Eine Auswahl zu treffen, ist in der Masse die es zu HPL gibt sogar wünschenswerter als ein Wust.
Zum Thema Interpretation (zumindest im Sinne von Fisch -> Sex) sei vielleicht auf die Publikationen „Peter Priskil: Freuds Schlüssel zur Dichtung Freuds Schlüssel zur Dichtung“ verwiesen. Hier wird der Sexualtrieb in HPLs Geschichten freudianisch erklärt. Ich habe beim Lesen irgendwann nur noch mit dem Kopf geschüttelt, aber zumindest ist es in die Richtung.
Dann natürlich Bobby Deries „Sex and The Cthulhu Mythos“. Das habe ich noch nicht gelesen, kann demnach nichts dazu sagen.
Soviel vorerst.
21. Mai 2016 um 09:25 Uhr
„Bobby Deries „Sex and The Cthulhu Mythos“
„Peter Priskil: Freuds Schlüssel zur Dichtung“
Danke sehr für die Infos! Na, dann bin ich also doch nicht ganz allein 🙂
Hätte mich auch sehr gewundert, wenn wirklich alle Welt denken würde, H. P. Lovecraft hätte seine biologischen Triebe einfach so „ausgeschwitzt“ ohne das sie irgendwelche Spuren in seiner Kunst hinterlassen hätten. Ernsthaft, wäre doch sehr unwahrscheinlich, oder?
Ich sage trotzdem mal (halb ernst halb spaßig): Eine wissenschaftliche Folge der Arkham Insiders über „Lovecrafts Einfluss auf den japanischen Tentakel-Hentai bzw. die Parallelen zwischen Lovecraft und den japanischen Tentakel-Vorlieben“ könnte äußerst faszinierend sein, oder?
Man beachte auch Katsushika Hokusai (1760-1849).
Kommt Leute! Es geht um Kunst! Da kann man ruhig Spaß haben!
Fröhliche Grüße
Michael
http://www.michaeltillmann.de
2. Juni 2016 um 19:02 Uhr
Cabell wird so ausgesprochen wie „rabble“. Heute ist er noch ein wenig als Südstaatenautor bekannt, ein großer Weltschenschöpfer (ähnlich wie Faulkner), hat sich mit SInclair Lewis und auch Mencken herumgetrieben. Zu seiner Zeit war er in den ganzen USA bekannt, eher wegen eines Zensururteils als dass ihn wirklich so viele gelesen hätten. Meine früheste deutsche Übersetzung von Jürgen erschien bereits 1928. Noch lang nach seinem Tod gab es Magazine, die sich nur mit Cabell beschäftigten. Aber ja, sehr vergessen inzwischen, nicht ganz zu Recht. (Großer Fan hier.)
2. Juni 2016 um 19:07 Uhr
Hallo Herr Rau,
vielen Dank für diese Infos. Es ist immer interessant, wenn im Zuge der Beschäftigung mit HPL Leute wie Cabell (Aussprache merke ich mir!) an die Reihe kommen – und offensichtlich ihre Fans haben.
Gruß
AI Axel
27. Juli 2016 um 21:38 Uhr
Gerade zufällig bei amazon gesehen:
Der alte FESTA hat Bobby Deries angekündigt:
„Sex und Perversion im Cthulhu-Mythos: Ein intimer Blick auf H. P. Lovecraft und sein literarisches Erbe“ Gebundene Ausgabe – 20. Februar 2017
Zitat aus der Werbung: „Ist ein Tentakel wirklich nur ein Tentakel?“ 😀
Heitere Grüße
Michael
http://www.michaeltillmann.de