The Mound (Der Hügel) basiert auf einer äußerst dünnen Idee der Autorin Zealia Bishop. Lovecraft sah hier freilich die Möglichkeit, seine Ideen rund um uralte Zivilisationen außerirdischen Ursprungs weiter auszuarbeiten. Herauskam eine lange, fremdartige Erzählung mit SF- und Fantasy-Anteilen, die erst einige Jahre nach Lovecrafts Tod in Weird Tales abgedruckt wurde. The Mound weist Parallelen zu At the Mountains of Madness und The Shadow out of Time auf und zählt mit seinen fast 30.000 Wörtern zu den längsten fiktionalen Texten Lovecrafts.
24. Juli 2022 um 19:53 Uhr
Bei dieser Geschichte bin ich… sagen wir… leicht vorbelastet. Hatte damals für Pegasus das entsprechende Kapitel im ‚Terra Cthulhiana‘ Band geschrieben, eine Aufgabe, die ich in Vertretung übernommen hatte. Und ohne dies weiter kommentieren zu wollen, möchte ich doch Eure These von der ‚verfluchten Geschichte‘ definitiv unterstützen. Iä fhtagn.
Auf jeden Fall habe ich diesmal quasi mit der geistigen Checkliste im Anschlag Eurem Mammutwerk gelauscht und am Ende blieb tatsächlich nichts übrig, was Ihr nicht schon genannt hättet. Von den Moundbuilder-Kulturen über ‚The Coming Race‘ und ‚Die Zeitmaschine‘ bis zu den Tucson-Artefakten (was übrigens ohne ‚c‘ ausgesprochen wird, um Euren neuen Selbstanforderungen gerecht zu werden, weiß ich auch nur durch einen Song der ‚Beatles‘).
Erneut ganz großer Respekt vor Euch und vielen Dank für all die Arbeit – auch unter widrigen, potentiell fluchinduzierten Bedingungen.
Und diesmal muss ich Euch beiden in bestimmten Punkten zustimmen. Mirko hat, meiner Meinung nach, durchaus Recht, wenn er die Geschichte bisweilen langatmig findet. Man merkt, dass Lovecraft sich hier mit überbordendem Elan in Details und Facetten seiner Kreation verliert und beinahe jeden Aspekt des gesellschaftlichen und politischen Lebens in K’n-yan auszuleuchten trachtet, fast so, als wolle er ein Manifest verfassen. Expliziter wird eigentlich nur noch Ramsey Campbell, wenn er uns Jahre später erklärt, wie und wo der gemeine Funghi von Yuggoth seine Notdurft verrichtet.
Andererseits ist die dekadente Grundstimmung von ‚The Mound‘ und die in allem schwärende Perversion ein so starkes, verstörendes Thema, dass ich Axels Liebe zu dieser Geschichte sehr gut nachvollziehen kann, versteht letztere es doch, einem allein durch Andeutungen den Magen umzudrehen und tiefen Eindruck in der Psyche zu hinterlassen.
Und gerade die düsteren Verweise auf eine noch ältere, noch unmenschlichere Zivilisation, in deren Ruinen tief unterhalb der eigenen Tiefe K’n-yans ein abnormes, gefährliches Leben lauert eignen sich wunderbar, dem Leser endgültig den vertrauten Boden unter den Füßen wegzuziehen und ihn ab sofort sorgenvoll in jeden tiefen Brunnen und jede Felsspalte spähen zu lassen, ob sich in den Schatten nicht etwas halbflüssiges, Feindseliges regt.
Ich möchte behaupten, um die Stimmung dieser Geschichte angemessen zu visualisieren, hätte der Künstler Karel Thole diese zu seinen Lebzeiten illustrieren müssen. Dessen surreale Werke fanden sich z.B. oftmals auf den Umschlägen der ‚Vampir Horror Roman‘ Groschenhefte und seine Bilder, die äußerst effektiv in Asymmetrie, verzerrten Proportionen, unangenehmen Farben und überwältigenden Perspektiven schwelgen, wären meiner Ansicht nach einer bildlichen Umsetzung der morbiden Grundstimmung von ‚The Mound‘ gerecht geworden, auch gemessen an diversen anderen Illustrationen mit lovecraftschem Bezug von ihm.
Was sich in dieser Geschichte allerdings langsam abnutzt ist die stets beschworene, haushohe Überlegenheit der verborgenen Völker.
Wenn sie wollten, könnten sie die Menschheit mit Kusshand ausrotten oder versklaven. Das lässt sinngemäß Lovecraft schon Zadok Allen über die Tiefen Wesen sagen, das gilt für die Shoggothen der Antarktis und hier ist es wieder so. Diese Drohung verliert doch einiges an Schneidigkeit, wenn sie zum Klischee gerinnt.
Vielen Dank auch für die Erwähnung der Theorie, dass diese Geschichte sich einen Erzähler mit ‚The Curse of Yg‘ teilt und bei Erfolg vielleicht zum Teil eines eigenen, geschlossenen Zirkels in HPLs Werk geworden wäre. Diese war mir gänzlich unbekannt und bisher auch nicht in den Sinn gekommen.
Was ich selbst zu dem Thema in bereits genannter Rollenspielveröffentlichung in Bezug setzte waren u.a. Jules Vernes ‚Reise zum Mittelpunkt der Erde‘, kontroverses Garn wie das ‚Tagebuch des Admiral Byrd‘, aber auch verschrobene Ansichten von Cotton Mather und Sir Edmond Halley. Überhaupt trug ich damals vieles an Erzählungen, Mythologien und Theorien zusammen, was eine hohle oder zumindest im Innern bewohnbare Erde zum Thema hat und somit der entsprechenden Plotkonstruktion dienlich sein sollte.
Vieles davon findet sich heute als Teil diverser Verschwörungsmythologien, z.B. auf Facebook wieder, wo ‚Flacherdler‘ mit ‚Hohlerdlern‘ um die jeweils unverdiente Deutungshoheit streiten.
Hier bildet Lovecraft – wieder einmal und ungewollt – das Relais zwischen einer alten literarischen Tradition wissenschaftlich gebildeter Geister und der postmodernen Hysterie jener, welche um jeden Preis auf dem, von Euch bereits genannten Eiland der Glückseligkeit verharren wollen.
Was mir dabei auf der Metaebene sehr gefallen hat, ist Eure Thematisierung der Vorzivilisations-Theorien, welche ihrerzeit durchaus akademischen Anklang fanden und sich heute noch in der Esoterik- und Verschwörungsszene ungebrochener Beliebtheit erfreuen.
Im schlimmsten Falle wird dabei einer fremden Kultur aus rassistischer Arroganz heraus die Unfähigkeit attestiert, trotz aller anderslautenden Beweise, ein großes Werk selbst vollbracht zu haben und lieber eine hanebüchene Verbindung zu den eigenen, ‚zivilisierten‘ Vorfahren herbei fabuliert,um diese Leistung zu vereinnahmen.
Hier möchte ich Euch nicht nur für Eure Arbeit sondern auch Eure klare Stellungnahme danken.
Im besten Falle wird ein ‚Einfluss von außen‘ und damit der gesamten Menschheit mangelnde Geistes- und Ingenieurfähigkeit unterstellt (Präastronautik und Pyramidenbau z.B.), was aber in gewisser Weise auch eine Grundlage des kosmischen Horrors bildet, in welchem der Mensch selbst einfach nur stellarer Staub mit einem Hauch von Bewusstsein ist, der zwischen unsichtbaren, titanischen Äonen zerrieben wird, und der den Verstand verliert, wenn er einen Blick über den Rand seiner Realität erhascht.
Die Ameise auf der Platine ist hierfür ein schönes Gleichnis, wie ich finde, und es ist tatsächlich nötig, sich graduell auf eine solche Vorstellung der Realität einzulassen, will man das Grauen Lovecrafts wirklich genießen.
Die Winzigkeit und Unwichtigkeit unserer Spezies wird uns ja aktuell zudem auf eine wesentlich ästhetischere und freundlichere Weise durch die Aufnahmen des Webb-Teleskops erneut vorgeführt.
Die Tuscon Artefakte sind ein weiteres schönes Beispiel dafür, wie Lovecraft solch scheinbare Sensationsfunde seiner Zeit in Geschichten einzuarbeiten wusste, mal – wie hier – als bereits erkannte Fälschung, mal als scheinbarer Fakt, der erst später entlarvt wurde, so wie die Nennung des Piltdown-Menschen in ‚The Rats in the Walls‘. Dies sorgt für eine gewisse Erdung der Erzählungen in ihrer jeweiligen Gegenwart und setzt auch einen atmosphärischen Orientierungspunkt.
Und hier noch die unvermeidliche Filmempfehlung, welche sich allerdings mal nicht auf Lovecraft bezieht, sondern auf den Umgang der Medien, insbesondere des Kinos mit den amerikanischen Ureinwohnern und daher an dieser Stelle durchaus passt, wie ich hoffe.
Die Dokumentation ‚Reel Injun‘ von Neil Diamond, Catherine Bainbridge und Jeremiah Hayes ist eine sehr unterhaltsame, so spannende wie nachdenkliche, bisweilen aufrüttelnde Chronik und Analyse der Rezeption und Darstellung der ‚Indianer‘ in der Popkultur des 20. Jahrhunderts bis heute, sowie deren wachsendes politisches Engagement und kulturelle Restauration. Gerade den Cineasten unter uns möchte ich dieses hochinteressante Werk ans Herz legen.
Zum Abschluss freut es mich sehr, dass die Kommentarsektion endlich mal zum Leben erwacht ist und sich hier spannender und inspirierender Austausch zwischen den Hörern und Euch, aber auch untereinander ergibt. Das ist schließlich von Euch mehr als verdient und lange überfällig.
Beste Grüße,
Nils B.
10. August 2022 um 11:55 Uhr
Nun ist es offenbar doch wieder sehr ruhig geworden in der Kommentarspalte. Schade.
Nicht mal ein Wort des Lobes oder der Anerkennung für all Eure Arbeit, allein an dieser Episode. Das frustriert mich ja sogar als Zuhörer.
Lasst Euch bitte nicht entmutigen.