In der Folklore, in Märchen und Sagen, erfreut sich die Schlange großer Beliebtheit – und zwar weltweit: In einer Geschichte der Pawnee-Prärieindianer geht es beispielsweise um zwei Brüder, von denen sich einer nach einer magischen Mahlzeit aus Knochenmark und Kaninchenfleisch in eine Klapperschlange verwandelt und so dem Bruder zu großem Kriegsglück verhilft.
Die Schlange spielt in diversen Schöpfungsmythen eine wichtige Rolle, längst nicht nur in der Bibel. Die vergöttlichte Schlange ist wohl am bekanntesten in der Gestalt von Quetzalcoatl, der gefiederten Schlange, die im präkolumbianischen Amerika verehrt wurde.
Und an diesen Punkt knüpft Lovecraft mit The Curse of Yig an, einer Story, die auf einer Idee von Zealia Bishop beruht. Lovecrafts Yig ist freilich eine bedeutend düstere und feindlich gesinntere Gottheit als Quetzalcoatl …
Shownotes
Ruthanna Emrys and Anne M. Pillsworth/The Lovecraft reread: The Curse of Yig
GM Factory: H. P. Lovecraft: Der Fluch des Yig [Hörbuch, deutsch]
Deep Cuts in a Lovecraftian Vein: Her Letters To Lovecraft: Zealia Brown Reed Bishop
5. Juni 2022 um 17:53 Uhr
Auf diese Geschichte habe ich mich besonders gefreut, da ich selbst momentan der Schlangensymbolik und Fragmenten eines potentiellen Schlangenkultes im vorchristlichen Nord- und Westeuropa nachspüre. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass es – spätestens in Skandinavien – keine großen oder gar signifikant giftigen Schlangen gibt, welche Vorbilder für ihre mythischen Äquivalente sein könnten, und welche Aspekte dieser Überlieferungen demnach wohl importiert sein mögen und unter welchen zeitlichen und kulturellen Umständen (z.B. vor oder nach der Christianisierung) dies erfolgte.
Neben Beispielen wie der, von Euch bereits genannten Midgardschlange, welche stark an den altägyptischen Ouroboros oder auch die babylonische Tiamat erinnert, und Ragnars Tod gibt es da noch unzählige Darstellungen verwobener Schlangen in unterschiedlichen Epochen (siehe z.B. die angelsächsische Gürtelschnalle von Sutton Hoo, diverse vendelzeitliche Schmuckscheiben bis zu Schnitzereien an norwegischen Stabkirchen im Urnes-Stil) bis hin zur sogenannten Schlangenhexe auf einem Bildstein von Smiss, welche in der Haltung gar Ähnlichkeiten zur Statue der minoischen, daher bronzezeitlichen ‚Schlangengöttin‘-Statue aus dem Palast von Knossos aufweist, und welche eine Faszination für, wenn nicht Verehrung dieses sagenumwobenen Kriechtiers andeuten könnten.
Meine dilettantischen Forschungen hierzu sind noch jung und unausgegoren, dürften aber meine Subjektivität in Bezug auf die vorliegende Geschichte aktuell maßgeblich torpedieren.
Erst einmal möchte ich Euch erneut für die Feststellung danken, dass sämtliche Versuche, Lovecrafts Mythoskreaturen in ein hierarchisches Pantheon zu quetschen, nicht vom Autor selber ausgingen und auch nie von ihm beabsichtigt waren.
Ich selbst habe die Figur des Yig stets eher in eine Grauzone zwischen Kryptozoologie und Lost Race Fantasy gerückt. Das degenerierte Relikt einer untergegangenen, prähumanen Zivilisation eventuell, welche in der Erinnerung der Menschen zum Mythos herabsank und deren langlebige Nachfahren bis heute im Untergrund existieren.
Gern würde ich auf eine literarische Verwandtschaft zu den Schlangenmenschen von Valusien spekulieren, welche Lovecraft spätestens in ‚Haunter of the Dark‘ erwähnt, und die ihren ersten Auftritt in der Augustausgabe des WEIRD TALES, ebenfalls im Jahre 1929, in Robert E. Howards ‚The Shadow Kingdom‘ hatten. Da der Kontakt zwischen Lovecraft und Howard aber erst ein Jahr nach dieser Geschichte begann, ist das leider schwerlich nachprüfbar. Ähnliches klingt aber bekanntermaßen bereits in ‚The nameless City‘ an.
In Bezug auf das Wesen im Sanatorium ist die Erbkrankheitstheorie natürlich eine annehmbare Sichtweise. Genauso mag es sich mit dem psychosomatischen Verfall Audreys nach der Schreckensnacht und vorausgegangenen Indoktrinierung durch Walkers Paranoia verhalten. An sich wollen mir persönlich diese Annahmen aber zu kurz greifen.
Dreht man die Medaille um, bzw. lässt wenigstens deren Existenz zu, wird es um einiges finsterer und einer Horrorgeschichte gerechter.
Denn es bleibt die Frage: wer ist der Vater der besagten Kinder, von denen sich noch eines, langlebig und alterslos, im Keller des Sanatoriums windet?
Von einer Schwangerschaft Audrey Davis wird vor der besagten Nacht, genau neun Monate vor der Geburt der missgestalteten Wesen, nichts erwähnt.
Wird hier also impliziert, Yig selbst sei der Erzeuger, der in jener Nacht noch auf irgendeine Art und Weise Einfluss nahm, nachdem die bedauernswerte Frau ungewollt ihren Mann erschlagen hatte? Eine halbmythische Kreatur aus Fleisch und Blut, deren DNS leidlich mit der des Homo Sapiens kombinierbar ist?
Demnach hätten wir es mit einer ähnlichen Situation wie in Innsmouth zu tun, wo sich Menschen mit Tiefen Wesen paaren. Oder wie in Dunwich, wo ein debiles Bauernmädchen die Brut des Yog Sothoth selbst zur Welt bringt.
Lässt man sich auf diese Sichtweise ein, dann ist diese Geschichte, gerade im Oeuvre Lovecrafts, ungewohnt explizit. Denn während in Innsmouth und Dunwich die Zeugung jener Hybriden in räumlichen und zeitlichen Abstand entrückt ist, liegen zwischen dem Auffinden der wahnsinnigen Audrey, dem ungewollten Totschlag Walkers und dem anzunehmenden Akt (welcher Art auch immer) höchstens Stunden. Ich stelle mir vor, dies dürfte um 1929 herum recht schockierend gewirkt haben, nähme man die besagten Implikationen an.
Gerade unter diesem Aspekt empfinde ich die Geschichte im Gesamtwerk nicht unbedingt als herausragend aber immerhin als eigenständig genug, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Im Fazit ist ‚The Curse of Yig‘ für mich eine passable Folk Horror Geschichte, welche durch selbst herbeigesponnene Verbindungen zum Werk anderer Autoren an Abgründigkeit und Substanz gewinnt, und sich daher ohne Scham im Mittelfeld des Gesamtwerks H.P.Lovecrafts wiederfinden darf.