„Die Geschichte, die meinen Winter ruiniert hat“ – so bezeichnete Lovecraft selbst seine Kollaboration mit dem etwas fragwürdigen Kollegen Adolphe Danziger De Castro (1859 – 1959) namens The Last Test (dt. u. a. Der letzte Versuch oder Das letzte Experiment). Die Story ist ein wilder Ritt durch das Genre des Wissenschafts-Thrillers, der Gruselgeschichte und beinhaltet neben einem romantischen Strang auch noch Elemente des Cthulhu-Mythos. Ob diese einzelnen Puzzleteile jedoch so gut ineinandergreifen – das sei dahingestellt.
In diesem Podcast durchleuchten wir die Person De Castros und was Lovecraft von diesem und der gemeinsamen Schreibarbeit hielt. Wir kommen auf Ambrose Bierce zu sprechen und auf den deutschen Unterhaltungsschriftsteller Richard Voß und seine blutige Alpentragödie „Der Mönch von Berchtesgaden“, die als „The Monk and the Hangman’s Daughter“ einen gewissen Erfolg in der englischsprachigen Welt einheimsen konnte. Denn all diese Aspekte – man höre und staune – stehen in einem Zusammenhang mit „The Last Test“.
22. Mai 2022 um 15:35 Uhr
Uff, das war eine wahre Tour de Force durch Biographien und Zusammenhänge. Meinen höchsten Respekt Euch.
Ich habe mich, während Axels Zusammenfassung die ganze Zeit gefragt, ob ich die Geschichte schon einmal gelesen habe, oder nicht. Sollte es so sein, muss ich sie komplett verdrängt haben und müsste dies nun erstmal nachholen. Allerdings ermuntern Eure Ausführungen nicht zwingend dazu, sich diesem ‚Lesevergnügen‘ allzu bald hinzugeben.
Nach seiner Biographie und seinem zur Schaugestellten Charakter allerdings wäre de Castro offenbar in unserer Gegenwart wohlplatziert und ein mediales Musterkind geworden. Vermutlich hätte er hier mit Youtube-Kanal, Twitter-Account, Telegram-Gruppe, Talkshow-Auftritten und Beteiligung an Reality-TV Formaten zügig seinen Platz zwischen all den großmäuligen und narzisstischen C-Promis, Influencern, Möchtegernstars und sogar Verschwörungstheoretikern gefunden – und wäre Dauergast bei ‚Kalkofes Mattscheibe‘ oder Walulis.
Für Lovecraft könnte er demnach sein persönliches Proto-Trash TV gewesen sein. So etwas wie der berühmte Autobahnunfall, bei dem man eigentlich wegsehen möchte, aber nicht kann. Ein Experiment in Sachen: „Wie tief muss man die Limbo-Stange des Niveaus noch hängen, damit der Mann nicht ehr drunter durch tanzt?“.
Wie gesagt, ich habe die obige Geschichte (noch) nicht gelesen und kann dazu also erst einmal nichts Substantielles sagen.
Was mich aber generell fasziniert ist, wie auch hier wieder von Euch angesprochen wurde, die sich schließenden Kreise um unseren aller Lieblingsneuengländer, wenn es um Beziehungen und Querverweise geht, innerhalb, aber auch über die Welt der Literatur hinaus.
Mein eigenes Lieblingsbeispiel ist dabei immer noch jenes kurze Aufblitzen, in welchem ich Lovecraft sogar mit den frühesten Tagen von STAR TREK verbunden sehe.
Setze als bekannt voraus, dass Robert Bloch mehrere Drehbücher für die Originalserie verfasst hat. Und in einer Folge – ‚Wolf in the Fold/Der Wolf im Schafspelz‘ – geht es um ein Wesen, dass sich quasi als geistiger Parasit an eine Wirt anheftet und ihn zum Morden zwingt, weil es sich von der Angst der Opfer ernährt. An sich schon ein interessantes Konzept.
Als dieser Zusammenhang in der Geschichte langsam klar wird, lässt Bloch schließlich Spock sagen: „Deriving sustenance from emotion is not unknown in the galaxy, and fear is among the strongest and most violent of the emotions.“ und zitiert damit im zweiten Halbsatz fast seines Mentors berühmten Ausspruch: „The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of the unknown“.
Ein dünner Faden, ja, aber einer aus Silber, wie ich finde, mit dem sich Lovecraft auch an Bord des guten alten Raumschiffs Enterprise anheften konnte.
Die Erarbeitung eines aktuellen Kompendiums über den Einfluss HPLs auf die moderne (Pop)Kultur wäre ohnehin eine feine Sache, aber wohl eine echte Mammutaufgabe, insbesondere, wenn man sich nicht von den ganzen vordergründige Tentakel-Assoziationen und dem mittlerweile zum Kaiju herabgesunkenen ‚Knuddel-Cthulhu-Kult‘ ablenken lässt, sondern sich an dem weit umfangreicheren mythologischen, psychologischen und erzählerischen Erbe abarbeiten würde, welches ja schon zu Lovecrafts Lebzeiten von seinen Freunden (Howard, Smith, Belknap Long, wie erwähnt Bloch, u.a.) mitgetragen und in regem Austausch ergänzt wurde.
22. Mai 2022 um 20:34 Uhr
Hallo Nils,
vielen Dank für Deine Anmerkungen und Extrapolationen! Was mich betrifft, so kann ich nur dazu raten, die Story zu lesen: im Detail eröffnen sich viele interessante Aspekte, die in der Zusammenfassung leider nicht berücksichtigt werden konnten. So dürfte es die erste Geschichte sein, in welcher „ein altes Zeichen“ erwähnt wird.
Die Verbindung Lovecraft-Bloch-Star Trek hatte ich wiederum nicht auf dem Schirm: Was Du schreibst, hat Hand und Fuß – die zitierte Stelle hört sich wirklich nicht nach „reinem Zufall“ an. Gewiss, diese Art von Einflussnahme gerade auf die popkulturelle Produktion etwa ab den 1940er Jahren zu durchleuchten: das wäre ein lohnendes Aufgabenfeld.
Viele Grüße
Axel
23. Mai 2022 um 19:35 Uhr
Bei soviel gutem Zureden muss ich mich wohl ran machen. Werde wohl zur Suhrkamp Ausgabe greifen. Sollte ich die Story doch schon mal vor langer Zeit gelesen habe, dann wird es da gewesen sein und mir am ehesten auffallen.
Besten Dank und alles Gute!
24. Mai 2022 um 20:54 Uhr
Vielen Dank für den umfangreichen Bericht zu de Castro. Wirklich erstklassig! Bin schon auf eure Besprechung von der Elektrischen Hinrichtungsmaschine gespannt. Die Geschichte ist für mich trotz aller Kritik die bessere der beiden De-Castro-Lovecraft-Arbeiten.
Als ich das Letzte Experiment las, fühlte ich mich wegen der Romanze übrigens ein wenig an Sweet Ermengarde erinnert 😀
Was auch interessant zu erwähnen ist: Bei Festa wurde die ansteckende Krankheit als „Schwarzes Fieber“ übersetzt. Passend zu dem Titelbild, das ihr hier verwendet.
26. Mai 2022 um 07:42 Uhr
Hi Marius,
„Bin schon auf eure Besprechung von der Elektrischen Hinrichtungsmaschine gespannt. Die Geschichte ist für mich trotz aller Kritik die bessere der beiden De-Castro-Lovecraft-Arbeiten.“
Oho, das hört sich interessant an – und wird von uns bei der Folge berücksichtigt werden. Mal sehen, ob wir die Einschätzung teilen. 🙂
Viele Grüße Axel
27. Mai 2022 um 22:08 Uhr
Liebe Arkhaminsiders,
irgendwie habt ihr mir am Ende dann doch Lust gemacht, diese Geschichte zu lesen. Die Assoziation zu den Menschen- und Tierversuchen der Gegenwart und vor allem der Nazizeit springen einen ja direkt an.
Fabelhaft eure Information zu de Castro. Was eine Type!
Grüsse aus dem Pleistozän,
Lena
28. Mai 2022 um 07:09 Uhr
Hallo Lena,
es lohnt sich, die Geschichte zu lesen. So krude sie im Ganzen sein mag, sie hat ihre interessanten Momente und atmet bisweilen typisches Lovecraft-Flair … meiner Meinung nach.
Viele Grüße
Axel