Mit traditionellen Horrorgestalten werden wir bei H. P. Lovecraft nicht unbedingt verwöhnt. Um so schöner, wenn sie denn doch einmal anzutreffen sind … In diesem Fall haben wir es mit einem Werwolf zu tun, ein Wesen, das bekannt ist aus Literatur, Hörspiel und Film (wie wir im Podcast feststellen).
The Ghost-Eater (dt. Titel: Vom Wolf, der Gespenster fraß) stammt zum größten Teil aus der Feder von C. M. Eddy, Jr. Über Lovecrafts tatsächlichen Anteil an der recht pulpigen Story können wir nur spekulieren. Fest steht jedenfalls, dass er seinem Freund und Kollegen hier unter die Arme gegriffen hat – und so womöglich erst einer Veröffentlichung in Weird Tales (April 1924) den Weg ebnete.
Shownotes
- Arkham Insiders Episode 65: Muriel E. und C. M. Eddy, jr.
- YouTube: H. P. Lovecraft: Vom Wolf, der Gespenster fraß (GM Factory Hörbuch)
- Wikipedia: Die Gruselserie/Europa (inkl. Die tödliche Begegnung mit dem Werwolf)
- American Literature: A Haunted Island by Algernon Blackwood
- Deutsche Nationalbibliothek: Vergessene Bestie: Der Werwolf in der deutschen Literatur von Christian Stiegler (mit Inhaltsverzeichnis)
31. Januar 2022 um 13:14 Uhr
Erst einmal herzlichen Dank und beste Grüße zurück. Man balanciert als Kommentator ja stets auf der dünnen Linie zwischen möglichst interessanter Ergänzung und nerdiger Klugscheißerei. Hoffe sehr, auch zukünftig eher mit ersterem dienlich sein zu können.
Zur Geschichte selbst ist meiner Meinung nach zu sagen, dass ‚Der Wolf, der Gespenster fraß‘ ein exzellenter Vertreter jener allzu klassischen Schauergeschichte ist, von der man immer wieder mindestens ein Exemplar in Lovecraft-Anthologien findet und bei der man sich während des ersten Lesens dauernd fragt: Wann kommt denn nun endlich der Twist?
Nicht, dass der altmodische, gepflegte Grusel bisweilen nicht auch seine Berechtigung hätte, aber im Umfeld des alten Mannes aus Providence erwartet man halt weniger jenen altbekannten, folkloristischen Stoff, der, wie Ihr bereits bemerktet, schnell am Rand zum Volksmärchen entlang schrammt. Und wenn doch, dann gewürzt mit perfiden Versatzstücken, welche den kuscheligen Schauder unerwartet mit dem eisigen Hauch kosmischen Grauens durchweben.
Ein Beispiel, welches das identische Motiv aus ‚Der Wolf…‘ entsprechend anreichert, kommt nicht von HPL selbst sondern vom guten alten Robert E. Howard.
In ‚Der schwarze Stein‘ starten wir quasi an der gleichen Stelle: einsamer Wanderer, trotz Warnung der Einheimischen zu bestimmter Zeit nachts in der Wildnis, wird Zeuge schemenhafter Visionen vergangenen Grauens und fragt sich: ‚War es Traum oder Wirklichkeit?‘. So weit, so gut, so vertraut.
Wo Eddy jr. nun aber im herkömmlichen Rahmen verbleibt, ergänzt Howard all jene Punkte, die ihr selbst u.a. aufgezählt habt und erhebt seine Novelle damit weit über den Durchschnitt. Pittoreske Landschaftsbeschreibungen, eine ausführliche Vorgeschichte und Motivation für den Erzähler, eine Kontemplation über die beobachteten Geschehnisse und schließlich ein grimmiges, unversöhnliches Fazit, welches nicht nur die Gegenwart mit der Vergangenheit vereint, sondern auch den aeonentiefen Abgrund zu monströsen Vorzeiten und Geschöpfen aufreißt – eben das Element des kosmischen Grauens hinzufügt, welches die Story unvorhersehbar und besonders macht.
So besonders sogar, dass mit dem Buch ‚Von unaussprechlichen Kulten‘, dem unglücklichen Friedrich von Junzt und dem wahnsinnigen Poeten Justin Geoffrey, welche hier allesamt zum ersten Mal erwähnt werden, hernach neue Eckpfeiler dem lovecraftschen Erzählfundus hinzugefügt wurden.
Des Weiteren hatte ich fast kindlichen Spaß an Euren Exkursionen in diesem Review, da der Werwolf nicht nur auch mein Lieblingsgeschöpf des klassischen Horrors ist, sondern weil ich ihn auch (und viel zu jung) zuerst mit den besagten EUROPA Hörspielen kennengelernt habe – und nach ‚Die tödliche Begegnung…‘ erst einmal nächtelang nicht schlafen konnte.
Zudem war gerade diese Geschichte auch literarisch ein kleiner Meilenstein für mich, da sie – Spoileralarm für Unwissende ab hier! – als eine Bandaufnahme erzählt wird, also quasi in der Retrospektive einer bereits toten Person. Ein, mir damals noch völlig unbekannter und umso verstörender, erzählerischer Kniff, den ich dann später in ähnlicher Form oft bei Lovecraft wiederfand, z.B. in ‚Dagon‘. Und den Besitz der LP neide ich Mirko mit aller Herzlichkeit.
‚American Werewolf‘ habe ich leider nicht zuerst auf den britischen Inseln gesehen, aber immerhin auch im Urlaub mit den Großeltern. In einem einsamen, von Wäldern umgebenen Ferienhaus in den Kärntner Bergen. Wie gesagt: Schlaf wird überbewertet.
Allerdings sind gute Werwolf-Filme recht schwer zu finden, aber der bereits erwähnte, etwas spezielle ‚Wolfen‘ und natürlich Joe Dantes ‚The Howling‘ gehören dazu.
Dann hätten wir noch den Klassiker ‚Der Wolfsmensch‘ mit Lon Chaney jr. und vielleicht auch noch das Remake mit Benicio del Toro und Anthony Hopkins. Ein anderer Klassiker wäre ‚Der Fluch von Siniestro‘ aus den legendären Hammer Studios. Ebenso sind u.a. mit ‚Ginger Snaps‘, ‚Late Phases‘ und ‚Howl‘ über die Jahre interessante Filme des Genres erschienen. Und als sehr unterhaltsamen Exoten möchte ich auch noch die Mischung aus Horror, Science Fiction und Cop-Thriller ‚Full Eclipse‘ mit Mario van Peebles, Patsy Kensit und Bruce Payne empfehlen.
Und noch eine Skurrilität zum Abschluß: Wer mag, kann sich in Bedburg auf den Werwolf-Wanderweg begeben und dort an einzelnen Stationen das Leben des Peter Stump (oder Stubbe) nachvollziehen, welcher dort im 16. Jahrhundert sein lykanthropisches Unwesen getrieben haben soll und einen entsetzlichen Foltertod starb.
Landschaftlich ist der Weg nicht weltbewegend, auch dank des umgebenden Braunkohletagebaus, aber für deviante Heimatforscher doch durchaus ein empfehlenswerter Ausflug.
2. Februar 2022 um 01:00 Uhr
PS
Jetzt habe ich bei den pelzigen Filmtips doch glatt noch den großartigen ‚Dogsoldiers‘ und den etwas kontroversen ‚Wer‘ vergessen.