Zu dick aufgetragen, eine Parodie oder voller Klischees: Über Lovecrafts The Hound (Der Hund) gibt es so manche merkwürdige Vorstellungen und Meinungen. Bei den Arkham Insiders hingegen herrscht einhellige Begeisterung für die 1922 verfasste Story, in der Lovecraft einen Rundumschlag in Richtung seiner Vorbilder und Einflüsse probiert. So finden wir handfeste Hinweise auf Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle und den Hund der Baskervilles (Sherlock Holmes) sowie ein Namedropping verschiedener künstlerisch-literarischer Strömungen der Jahrhundertwende. Das alles garniert mit einigen unappetitlichen Details um Leichenraub und Menschenfraß … na dann, wohl bekomms!
Shownotes
Hier die Links zu den im Podcast angesprochenen Hinweisen/Tipps:
- Lesung „König Pest“ und „Die Maske des roten Todes“: LWL-Museum für Archäologie Herne, Veranstaltungen zur „Pest“-Ausstellung
- Braunschweig International Film Festival: Bloody Women… at Midnight
- Braunschweig International Film Festival: Silent Poe
- Game on Tabletop: Lovecraftesque (Crowdfunding)
- Kulturkramkiste: Blog & Podcast
Download: Arkham Insiders Folge 133 – The Hound
3. November 2019 um 16:58 Uhr
Vorab und erneut vielen Dank für Eure hervorragende Arbeit.
Diesmal zu einer meiner liebsten und quasi auch meiner ersten Lovecraft-Geschichte an sich, ohne zu wissen, dass es eine solche ist. Denn ich las sie unter dem eher plumpen Titel ‚Der Talisman des Verdammten‘ als Comic im GESPENSTER GESCHICHTEN Taschenbuch Nummer 1. Monochrom und wirklich stimmungsvoll gezeichnet vom Künstler Bois blieb sie mir schon in dieser Form solchermaßen deutlich im Gedächtnis, dass ich sie sofort freudig erregt wiedererkannte, als ich endlich auch die ersten Sätze der originalen Kurzgeschichte las.
Zur Untermauerung der These, dass auch hier der Erzähler zwar aktiver Part, aber wieder ’nur‘ der Mitgerissene ist, ähnlich wie in ‚The Statement of Randolph Carter‘, möchte ich die kurze aber deutliche Passage anführen: „St. John was always the leader, and he it was who led the way at last to that mocking, that accursed spot which brought us our hideous and inevitable doom“, welche meiner Meinung, im tonalen Kontext der gesamten Erzählung, nicht wie eine relativierende Ausrede klingt, sondern eher wie eine bittere Ehrenbezeugung.
Was Eure Deutung angeht, dass es sich bei dem ursprünglichen Amulettträger um einen Ghoul im Wortsinne handelt, finde ich diese sehr interessant, aber ich denke, Ihr lasst ein wichtiges Detail außer Acht. Nämlich die Fledermäuse.
Ich selbst meinte immer, das Wort ‚Ghoul‘ stünde hier synonym für jede Art von Grabräuber, da der Erzähler es ja auch auf sich selbst und seinen Partner bezieht. Daher war ich bei dem ‚Inhalt des Grabes‘ bisher stets von einem Menschen ausgegangen, einem Hexer oder Okkultisten vielleicht, der durch den Diebstahl des Jadeanhängers Fluch und Verfolgung auf sich gezogen hat. Und das über den Tod hinaus („who had himself been a ghoul in his time and had stolen a potent thing from a mighty sepulchre“).
Gemordet von einem unbekannten Rächer und bestattet mit dem Amulett, quasi dem ‚Totem des Leichenfresser-Kults‘ („the ghastly soul-symbol of the corpse-eating cult of inaccessible Leng“), ist es dessen magischer Einfluss, welcher den Träger nach dem erneuten Diebstahl selbst in eine Kreatur der Rache verwandelt. Und zwar, was ich eben besonders betonenswert finde, nicht nur ihn sondern im Verbund auch andere düstere Wesen, nämlich die besagten riesigen Friedhofs-Fledermäusen, welche schließlich sogar wimmelnd mit im Sarg kauern.
Der titelgebende, ominöse Hund wäre demnach eine gestaltlose, geistige Kraft, eben die symbolisierte Seele der Leichenfresser, welche bei Bedarf in verfügbare, eventuell prädisponierte Lebewesen und Gegenstände fährt und sie zu einem Kollektiv zusammenzwingt, um sich zu körperlich manifestieren.
Daher hatte ich als den ‚Unhold‘ der Geschichte immer das Bild eines verstümmelten, animierten Skeletts mit kalt glühenden Augen imaginiert, das, von einem Schwarm monströser Fledermäuse getragen, über Diebe und Frevler herfällt, um sie mit Knochenklauen und Zähnen in Stücke zu reißen. Das erklärte auch Lovecrafts Umschreibung unförmiger, völlig unbeschreiblicher Schatten vor Mond und Straßenlaterne.
Zusätzlich dazu wird das ganze noch mit körperlosen Stimmen, irrem Gelächter, Kratzen an der Tür und schaurigem Bellen über dem Moor garniert, den bewährtesten Zutaten der Gothic-Literatur.
Wenn ich es wagen darf: Der vorgenannten, amorphen Gestalt habe ich versucht in meinem diesjährigen Lovecraft-Inktober cartoonesquen Ausdruck zu verleihen, wie auch schon, allerdings in abstrakterer Form, auf einem etwas älteren Bild.
https://www.facebook.com/muninsheim/photos/a.1213936315482269/1228429017366332/?type=3&theater
https://www.facebook.com/muninsheim/photos/a.225604270982150/459070137635561/?type=3&theater
Was ich abschließend noch erwähnen wollte ist, dass es von dieser Geschichte mehrere Comic-Umsetzungen gibt.
Als sehr gelungen möchte ich die zuvor genannte von Bois und die noch recht aktuelle von Gou Tanabe (Dark Horse) bezeichnen.
3. November 2019 um 19:35 Uhr
Hi Nils,
man merkt, dass du ein Fan der Story bist … vielen Dank für die sehr interessanten Anmerkungen und Hinweise. Gerade hinsichtlich St. Johns Position ist ja dann alles klar.
Deine Interpretation des „Ghouls“ hört sich schlüssig an – wie gesagt, es ist m. M. nach Stärke und Schwäche der Story zugleich, dass Lovecraft diese Chose etwas im Unklaren lässt. Deine Zeichnungen sind jedenfalls sehr stilvoll! Bei meiner Skizze, die das Beitragsbild abgibt, habe ich versucht, das grell Überzeichnete der ganzen Situation ein bisschen einzufangen, auch das Krankhafte …
Wie auch immer: Ich denke, wir können uns in unserer Vorliebe gerade für diese Geschichte bestätigt fühlen, wenn wir bedenken, wie viele Deutungsmöglichkeiten uns hier Lovecraft zum … äh, Fraß hingeworfen hat …
Axel
5. November 2019 um 19:07 Uhr
Einmal mehr eine interessante Folge!
Zur Bedeutung der Sherlock-Holmes-Geschichten für Lovecraft:
Den Aufsatz aus dem 2012er-Annual geißelt ihr ganz zu Recht. Aber über die Wutrede gegen den guten Callaghan gerät ein wenig das Motiv des Hundes selbst in den Hintergrund.
Ich bin nun kein Kenner der Genese dieses Motivs und letztlich spielt es in Lovecrafts Geschichte ja physisch auch keine so große Rolle – aber bleibt es nicht trotz Callaghans überzogener These plausibel, den „Hund der Baskervilles“ als Ideengeber für das Leitmotiv zu vermuten? Immerhin erinnert sich Lovecraft in einem Brief an Alfred Galpin aus dem Jahr 1918 sehr lebhaft an seine Zeit bei der PDA 😉 und den Kulminationspunkt seiner Holmes-Lektüre.
Glaubt man dem Brief, so lässt sich dies im Jahr 1903 verorten. Zu jener Zeit machte Holmes gerade durch den 1902 serialisierten Roman „Der Hund der Baskervilles“ wieder richtig Furore, und die an der Schauerliteratur geschulte Machart dürfte dem adoleszenten Lovecraft sicherlich besonders behagt haben. Kleiner vertraut er zudem brieflich an, dass er sich durchaus für frühere Gehversuche in der detective fiction bei Sherlock Holmes respektive Arthur Conan Doyle bedient hat.
Callaghan ist natürlich weit über das Ziel hinaus geschossen (und muss sich zudem ganz klar Methodenkritik gefallen lassen), aber gänzlich möchte ich die These denn doch nicht aufgeben.
Anmerkung zum Schluss: Auf „Der Ruf des Dämon“ ist Simon Jäger zu hören – nicht der deutsche SF-Autor und Lovecraft-Verleger Erik Simon. 😉
5. November 2019 um 22:44 Uhr
Vielen Dank für die Simon-Korrektur … ja, das kam uns relativ spontan in den Sinn und da sind wir beide der Namensverwechslung erlegen. Gut, dass wir aufmerksame Zuhörer haben. 🙂
Der Punkt an der Callaghan-Kritik ist: Lovecraft hatte sich als Jugendlicher durch die Holmes-Sachen durchgearbeitet. Sein Werk als Erwachsener durchgängig in diesen Zusammenhang zu stellen, schlägt in den allermeisten Fällen wirklich fehl.
Ansonsten denke ich, dass der „Hund der Baskervilles“ durchaus als Stichwortgeber bei „The Hound“ Bestand hat, also: keine Einwände. Aber natürlich, um unsere allgemeine Kritik nachvollziehen zu können, ist die Lektüre des Callaghan-Artikels nötig.
6. November 2019 um 08:56 Uhr
„Der Punkt an der Callaghan-Kritik ist: Lovecraft hatte sich als Jugendlicher durch die Holmes-Sachen durchgearbeitet. Sein Werk als Erwachsener durchgängig in diesen Zusammenhang zu stellen, schlägt in den allermeisten Fällen wirklich fehl.“
Ja, das ist ganz klar. Ich sehe ebenso die hermeneutische Überdrehtheit der Argumentation Callaghans.
15. Dezember 2019 um 14:07 Uhr
Na! Kein Doyle-Bashing, bitte! Kein anderer Schriftsteller, Lovecraft inbegriffen, hat sich so deutlich zu seinem Idol bekannt. Auch muß man immerhin festhalten, dass Sherlock Holmes selbst ein Fixpunkt der Dekadenzliteratur ist, ein aus Langeweile drogenkonsumierender, anti-sozialer Freigeist und Bohemien. Und die Legende des Baskerville-Hundes mit dem verkommenen, lüsternen Hugo ist, finde ich, eine sogar mehr als deutliche Inspiration für „The Hound“.
Callaghans Essay habe ich noch nicht gelesen – muß ich mir zulegen. ^^
16. Dezember 2019 um 08:59 Uhr
Nichts liegt uns natürlicher ferner als ein Doyle-Bashing. Wenn überhaupt, ist das nur im Zusammenhang mit dem Callaghan-Text zu sehen. Der Hinweis, dass Holmes selbst ein Fixpunkt der Dekadenzliteratur ist, ist in dem Zusammenhang allerdings wohl platziert … sicherlich ein bemerkenswerter Aspekt. Trotzdem denke ich, dass Lovecraft zu dem Zeitpunkt bereits zu sehr seine eigenen Ideen und Vorstellungen herausgebildet hat, als dass der Holmes-Einfluss nachweislich besonders schwer wiegen würde.
Axel