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1919 wird Lovecrafts Mutter ins Butler Hospital eingeliefert. Wie wurde Lovecraft mit dieser Situation fertig? In gewisser Weise befreit er sich von der Situation, die ihn zuhause mehr festhielt als frei sein ließ. Zwischen Verzweiflung und fast grenzenloser Schaffenswut festigt Lovecraft seine Position in der Welt des Amateurjournalismus. Aber er beginnt auch, die Welt außerhalb seines Papierexils zu entdecken. Er ist sehr produktiv und festigt seine philosophischen Ansichten.
Im September 1919 entdeckt er die Werke Lord Dunsanys.
In dieser Folge reden wir allerdings über Frauen, Liebe und Sex im Leben des Gentleman.
Download: Arkham Insiders Folge 26 – Lovecraft und die Ladies
Shownotes
- Das Gedicht „Despair“ auf hplovecraft.com
http://www.hplovecraft.com/writings/texts/poetry/p168.aspx - Carol Weld, Lovecrafts Stieftochter in der Wikipedia
http://en.wikipedia.org/wiki/Carol_Weld - Winifred Virginia Jackson auf Chris Perridas‘ Blog H.P. Lovecraft And His Legacy
http://chrisperridas.blogspot.de/2006/01/lovecraftiana-winifred-virginia.html
http://chrisperridas.blogspot.de/2008/02/winifred-virginia-jackson.html
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12. Juli 2014 um 14:17 Uhr
Hätte gar nicht gedacht, dass es zu dem Thema so viel zu sagen gibt 😉 aber die Insiders überraschen doch immer wieder.
Ich glaube auch nicht, dass Lovecraft asexuell war, aber ich würde schon sagen, das er keine besonders ausgeprägte Libido hatte – seine puritanische Erziehung tat das übrige.
Ich glaube auch nicht, dass er schwul war, aber nicht unbedingt deshalb, weil er sich so deutlich ablehnend über diese „Perversion“ geäußert hat – nicht selten versuchen ja Leute, die selbst schwul sind, mit ihrer betonten Ablehnung von Homosexualität ihre eigene zu überspielen oder zu verleugnen.
Lovecrafts Äußerungen, dass man sich doch lieber mit dem unendlichen Kosmos statt mit dem anderen Geschlecht beschäftigten sollte, stimmt mich traurig, weil es so eine unreife und beinahe schon feige Ausrede ist. Lovecraft hatte Angst vor Sexualität, genau so, wie vor vielen anderen Dingen Angst hatte, weil er sie nicht aus eigener Erfahrung kannte.
14. Juli 2014 um 13:01 Uhr
Sexualität war seine Sache nicht oder er schafft es, sich darüber in jeder Hinsicht auszuschweigen. Wie verborgen das Secret Life of a Gentleman bei Lovecraft wirklich war, werden wir niemals erfahren, aber wir können doch annehmen, dass es harmlos gewesen ist.
Die Erziehung spielt eine große Rolle, denn im Hintergrund schwebt der drohende Schatten der Syphilis Erkrankung seines Vaters. Natürlich wird Suzie gewusst haben, dass diese Krankheit eine sexuell übertragbare ist. Ihre merkwürdige Form der Liebe zu ihrem Sohn veranlasste sie auch dazu, alles Sexuelle von ihm fernzuhalten. Und er war verschroben genug, um das zu akzeptieren. Aber hinzu kommt noch etwas, ein Phänomen, dem wir ebenfalls auf der Spur sind und das schwerer zu erklären ist als Lovecrafts Aversion gegen Sexualität. Sprague de Camp erwähnt in seiner Biografie, dass Lovecraft unter einer Krankheit gelitten habe, die er (de Camp) Poikolithermie nennt. Diese Krankheit wird in den medizinischen Nachschlagewerken nicht erwähnt (das ist der bisherige Stand der Nachforschung), was impliziert, dass de Camp die Bezeichnung entlehnt hat oder diese tatsächlich früher Anwendung fand. Aber es handelt sich möglicherweise um eine Stoffwechselstörung. Wie diese beursacht ist, kann man nur spekulieren, aber Hinweise dafür gibt es. Vielleicht ist diese Stoffwechselstörung stärker gewesen und trat auch in bezug auf Lovecrafts Libido auf.
Ein anderer Aspekt, den Du erwähnst, ist ebenfalls faszinierend. Die „Angst“. Lovecraft sah sich immer wieder Ängsten ausgesetzt, seit dem ersten Auftreten der Night Gaunts in früher Kindheit. Zurzeit neige ich dazu Lovecrafts „kosmische Angst“ als ein für ihn eher reizvolles, faszinierendes Konzept zu sein, dem er sich freiwillig mit großem Interesse und auch einer gewissen „Freude“ widmete. Vor übernatürlichen Erscheinungen hatte er keine Angst, denn an die glaubte er nicht. Die näher liegenden Phänomene wie z.B. Menschenmassen, Menschen mit anderer Volkszugehörigkeit oder Hautfarbe, dem Wegbrechen der Zvilisation, dem ungebildeten und lauten white trash u.a., allem eher kulturpessimistischen Phänomenen begegnete er mit echter Angst, die sich von schlichtem Unwohlsein bis hin zu gesteigerter Nervosität und schließlich, wie Sonia berichtet, zu Aggression und Hass. Dem epikureeischen Ideal verpflichtet sah er seinen Kepos durch das Volk bedroht. Hier kommt auch sein massiver Rassismus mal wieder ins Gespräch. Die Störung Lovecrafts persönlicher Komfortzone durch Ereignisse, die nicht mit seinen persönlichen Interessen zusammenfielen, machten ihn fertig, setzten ihn unter Druck. Das brachte ihn zu extremen Reaktionen. Eine Mischung aus Ekel, Angst und Desinteresse, vielleicht auch Standesdünkel haben sein Verhältnis zur Sexualität bestimmt, Was ihm nicht behagte, hielt er von sich fern. In diesem Sinne war er durch und durch Epikureer und hat somit diesen Philosphen besser verstanden als das Gros seiner (Epikurs) Kritiker.
15. Juli 2014 um 10:50 Uhr
Ja, diese Poikolithermie klingt wirklich irre, angeblich war Lovecraft bereits bei leichten Minustemperaturen dem Zusammenbruch nahe, während er sich auch bei größter Hitze sehr wohl fühlte.
Dass er Dünkel und Ängste vor Sexualität hatte, wurde sicher auch dadurch bestärkt, dass jene, die er verabscheute – die von dir erwähnten Einwanderer, das einfache Volk – sehr viel offener und lockerer mit Sexualität umgingen, als die bürgerliche Klasse, der Lovecraft sich zugehörig fühlte. Anders ausgedrückt: Sex ist nichts, womit ein Gentlemen sich abgibt – genau wie mit anderen alltäglichen Dingen wie Arbeiten 🙂
Dazu fällt mir ein schönes Gedicht von Gottfried Benn ein, „Einsamer nie“:
Einsamer nie als im August:
Erfüllungsstunde – im Gelände
die roten und die goldenen Brände,
doch wo ist deiner Gärten Lust?
Die Seen hell, die Himmel weich,
die Äcker rein und glänzen leise,
doch wo sind Sieg und Siegsbeweise
aus dem von dir vertretenen Reich?
Wo alles sich durch Glück beweist
und tauscht den Blick und tauscht die Ringe
im Weingeruch, im Rausch der Dinge −:
dienst du dem Gegenglück, dem Geist.
Erstaunlich finde ich, wie Lovecraft gelichzeitig die Wunder des unendlichen Weltalls als schönste Beschäftigung des Menschen preist, und gleichzeitig ein Konzept wie den cosmic horror entwickelt. Andererseits gibt es in Lovecrafts Geschichten ja auch genügend „positive“ oder zumindest geistig höherstehende Wesen, die aus dem All kommen (Der Schatten aus der Zeit, Berge des Wahnsinns).
16. Juli 2014 um 18:14 Uhr
Gentlemen gaben sich schon mit Sexualität ab und zwar häfig (wie vielleicht auch sein Vater) durch den Besuch bei Prostituierten. Das Gewerbe der käuflichen Sexualität wurde auch und vor allem durch die bürgerliche Klasse erst am Leben gehalten.
Über die Poikilothermie werde ich an anderer Stelle noch ausführlicher sprechen.
Der erwähnte Widerspruch macht Lovecrafts Denken und seine Texte erst wirklich reizvoll. Er war von der Bedeutungslosigkeit der Menschen im Kosmos überzeugt. Dass er dennoch die Unendlichkeit faszinierend fand, zeigt, wie sehr er in der Lage war, nicht nur einseitig zu denken. Epikureeisch gesprochen etwa: das Weltall ist mein schöner Garten, aber jeneits der Grenzen lauert Gefahr.
Die höher stehenden Wesen sind auch ein Angriff auf die Science Fiction und die Horrorerzählungen seiner Kollegen, die immer wieder anthropomorphe Aliens mit menschlichen Begehren ins Feld werfen. Man denke an Flash Gordon, John Carter und andere. In diesem Zusammenhang hat Joe Haldeman in „Der ewige Krieg“ das mal auf die Spitze getrieben. Die Soldaten haben eine Art Hass-Implantat und Konditionierung, die wirksam werden, sobald sie den Feind, die Taurier, sehen. Der Protagonist Mandella bereichtet, dass vor seinem geistigen Auge Taurier menschliche Frauen vergewaltigen und Menschen fressen. Mandella kommentiert das dann zynisch: als hätten unbekannte Wesen, deren Stoffwechsel und Anatomie vollkommen anders ist als die der Menschen, überhaupt Interesse and menschlichen Frauen gewschweige denn die Enzyme in trage, die er zum Verdauen menschlicher Körper brauche.
Schon der Philosoph Xenophanes kritisiert seine Zeitgenossen:
„Wenn aber die Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten und mit diesen Händen malen könnten und Bildwerke schaffen wie Menschen, so würden die Pferde die Götter abbilden und malen in der Gestalt von Pferden, die Rinder mit der Figur von Rindern. Sie würden solche Statuen meißeln, die ihrer eigenen Körpergestalt entsprechen.“
Und genau das ist Lovecrafts Linie. Er nimmt an, dass es Leben im Universum gibt, aber wenn, dann wäre es so vollkommen anders, dass sich der Mensch das nicht vorstellen kann. Darum sind Cthulhu und seine Kumpels auch so bizarr geschildert. Da legt Lovecraft ordentlich eine Schippe drauf, um klarzumachen: Außerirdische sind keine Menschen.
Zum Glück für beide Seiten standen Star Trek, Star Wars, Perry Rhodan und andere noch in den Sternen.
17. Juli 2014 um 11:46 Uhr
Ja, „Der ewige Krieg“ (einer meiner Lieblings-SF-Romane) ist ein guter Hinweis, wobei ich sagen würde, auf die Spitze getrieben hat es Lem mit „Solaris“. John Clute hat das mal schön auf den Punkt gebracht: In amerikanischer Mainstream-SF ist alles so einfach, die Raumfahrer gehen auf einen fremden Planeten und können sofort mit guten Aliens kommunizieren und böse Aliens abknallen. Bei Solaris hingegen haben sie es mit einem intelligenten Ozean zu tun, der bis zum Schluss absolut unverständlich bleibt.
Vielleicht noch radikaler ist „Picknick am Wegesrand“ von den Strugatzkis: Aliens sind auf der Erde gelandet und haben dort eine merkwürdige „Zone“ hinterlassen. Während sich alle Menschen fragen, was sie uns damit sagen wollten, stellt ein Wissenschaftler die Theorie auf, dass uns die Aliens bei ihrem Besuch genauso wenig beachtet haben, wie wir Menschen die Ameisen bei einem Picknick, und dass wir nun in dieser rätselhaften Zone herumkrabbeln, wie Ameisen auf einer liegengelassenen Plastikfolie am Wegesrand.
Die anderen SF-Autoren haben Aliens immer wie Eingeborene behandelt, die auf Kolonialisten treffen, Lovecraft hingegen war hier als einer der ersten wirklich konsequent und hat verstanden, dass sie höchstwahrscheinlich komplett andersartig sind.
20. Juli 2014 um 18:47 Uhr
Ich meine mal gelesen zu haben, dass die Idee von Kopffüßern inspirierten Wesenheiten (neben Lovecrafts Abneigung gegen Seetieren) auch der Tatsache geschuldet ist, dass sie biologisch vom Grundbauplan am weitesten vom Menschen entfernt sind (auf jedenfall ziemlich weit, bin kein Experte :P). Schon allein der Instinkt eines Menschen mag dann beim Anblick solcher Abnormitäten unbewusst ein inneres Grauen auslösen, was sich wunderbar in die Fremdartigkeit des Cosmic Horror einordnen lässt. Also bewusst Andersartigkeit provozieren.
In den Fällen, in denen affenartige menschennahe Anatomien Verwendung finden, kehrt er diesen Effekt um: Der Mensch soll eben vor der Ähnlichkeit Ekel empfinden und erschaudern bei dem Gedanken, wie erschreckend nah der zivilisierte Mensch solch einem „Getier“ noch heute ist. Das ist der Degenerations-/Atavismus-Horror, der ebendurch die erschreckende Verbundenheit ausgelöst wird.
20. Juli 2014 um 18:48 Uhr
„The Green Meadow“ habe ich ehrlich gesagt noch nicht gehört. Gibt es davon eine deutsche Übersetzung? Und ist die Geschichte wirklich so bekannt?
25. Juli 2014 um 10:12 Uhr
Soweit ich das überblicken kann, gibt es zumindest eine Übersetzung und zwar in der sehr teuren Edition Phantasia Ausgabe.
25. Juli 2014 um 16:20 Uhr
Hm okay, die Ausgabe habe ich auch nicht. 🙂 Ich warte einfach, bis Sebastian soweit ist. ^^
25. Juli 2014 um 09:22 Uhr
Lustig, wie die Diskussion von Lovecrafts Verhältnis zu Frauen zu Lovecrafts Aliens umgeschwenkt ist 🙂
25. Juli 2014 um 10:13 Uhr
Das heben wir doch prima hingekriegt. Das war aber auch nur, um alle zu verwirren oder ein Beispiel für die Metaphorik Lovecrafts zu geben.
25. Juli 2014 um 16:21 Uhr
Wir müssen eben dem Blick gen Kosmos werfen! 😀