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Im Google News Archive, einem Service des Google News-Dienstes, befinden sich Scans von Jahrgängen der Zeitung Pawtuxet Valley Gleaner aus dem Zeitraum 1878 bis 1906. Der hier angegebene Link führt zum Jahrgang 1906 und ermöglicht einen Einblick in die schriftstellerischen Anfänge von Howard Phillips Lovecraft.

Ein junger Chronist

Noch bevor Lovecraft als Verfasser unheimlicher Geschichten von sich reden machte, konnte er bereits erste Veröffentlichungen vorweisen. Dabei handelte es sich um – soweit bekannt – 17 astronomische Artikel, die er 1906 für den Pawtuxet Valley Gleaner verfasst hatte. Diese 17 Texte wurden erstmals 1976 gesammelt und mit einem Vorwort von Ramsey Campbell in der Necronomicon Press herausgegeben. Campbell weist auf den Charme der Schreibe des jugendlichen Lovecrafts hin, der die Herausgabe rechtfertigte:

»Ungeachtet der bedrückenden Frühreife seiner ersten Erzählungen, belegt diese Sammlung, dass es eine Zeit gab, in der er tatsächlich ein 16jähriger Junge war, dessen ganzer Wortschatz die Begeisterung eines 16jährigen ausdrückt (möglicherweise zum Vergnügen seiner Pawtuxet Valley Leser).«

Auch wenn ein weiteres Blatt, die Providence Tribune, nur kurz darauf begann, ebenfalls entsprechende Artikel Lovecrafts zu drucken (ab dem 1. August 1906), so markieren die Gleaner-Beiträge doch den Anfang der Veröffentlichungen, die einem größeren Publikum zuteil wurden. Sein seit August 1903 hektografiertes und selbst herausgegebenes [The] Rhode Island Journal of Astronomy (bis 1909 insgesamt 69 Ausgaben) dürfte hingegen kaum über den eigenen Familien- und Freundeskreis hinaus gekommen sein. Ob jenes Zeitungspublikum von Lovecraft in nennenswertem Umfang Notiz nahm, sei dahin gestellt. Die Genugtuung als astronomischer Chronist gedruckt zu werden, blieb dem 16jährigen auf jeden Fall.

Lovecraft und die Astronomie

Hervorgegangen waren diese Beiträge aus einem ernsthaften Interesse an der Materie, das seit 1902 bestand. In seinem Essay A Confession of Unfaith (ca. 1921) erinnert sich Lovecraft:

»Die prägendsten Ereignisse meines Daseins sind diejenigen der Jahre 1896, als ich die hellenische Welt entdeckte, und 1902, als ich die Myriaden von Sonnen und die Unendlichkeit des Universums entdeckte. Manchmal denke ich, das letzteres das größere Ereignis war, denn nach wie vor vermittelt mir die Großartigkeit der wachsenden Vorstellung vom Universum eine unvergleichlich prickelnde Erregung.«

Nach Lovecrafts Tod fand man in seiner Bibliothek 35 Bücher zum Thema, doch betrug die Anzahl der astronomischen Werke im Jahr 1921, nach eigener Aussage, 61. Das erste Teleskop — aus einem Versandhauskatalog — erhielt der junge Howard 1903 geschenkt, bald folgten bessere und teurere Instrumente. Ein Freund der Familie, Professor Upton, verschaffte ihm schließlich ungehinderten Zugang zum Ladd Observatorium der Brown Universität in Providence, wo Lovecraft unter professionellen Bedingungen Beobachtungen machen konnte.[1]

Neben dem Gleaner und der Tribune belieferte er einige Jahre später, dann schon als junger Erwachsener, noch ein weiteres Blatt, die Providence Evening News. Die zwischen 1914 und 1918 52 gedruckten Artikel ähneln den Arbeiten für die Tribune: in erster Linie Voraussagen und Dokumentationen der im jeweiligen Monat stattfinden Himmelsereignisse.

Bezeichnend ist die Selbstverständlichkeit, mit der Lovecraft später seine astronomischen Neigungen literarisch verwendete. Beispielhaft stehen dafür die Erzählungen The Colour out of Space, The Whisperer in Darkness und The Shadow out of Time, – jene reiferen Werke, die eine gekonnte Verquickung zwischen unheimlicher Phantastik und Science Fiction darstellen. Sein Konzept des »Kosmischen Horrors« ist mittlerweile legendär, die Rolle, die die Astronomie darin spielt, unübersehbar. Fritz Leibers 1949 erschienener Essay mit dem vielsagenden Titel A literary Copernicus (deutsch: Ein literarischer Kopernikus) ist in dieser Hinsicht nach wie vor eine richtungsweisende Untersuchung.

Ladd_Observatory_at_Brown

Ladd Observatorium. Urheber: Michael L. Umbricht. CC BY-SA 3.0

 

Zur Zeitung

Der Pawtuxete Valley Gleaner war eine Wochenzeitung, die von 1876 bis 1906 existierte und von John H. Campbell in dem Dorf Phenix, Rhode Island (heute ein Stadtteil von West Warwick) herausgegeben wurde. »Gleaner« ist ein landwirtschaftlicher Begriff und heißt auf deutsch Ährenleser, der Name der Zeitung bedeutet im übertragenden Sinn also Nachlese oder Sammlung. In einem Brief vom 16.11.1916 an Rheinhart Kleiner schreibt Lovecraft:

»Dieses ländliche Blatt war das Orakel für jenen Teil des Landes, aus dem die Familie meiner Mutter stammte und wurde um der alten Zeiten willen abonniert. Der Name »Phillips« hat einen magischen Klang im westlichen Rhode Island und der Gleaner war nur allzu bereit, etwas vom Enkel Whipple V. Phillips zu bringen. Lediglich der Konkurs des Gleaners setzte meinen Aktivitäten als Kolumnist ein Ende.«[2]

Zu den Artikeln

Lovecrafts nachweisbare Tätigkeit für den Gleaner umfasst den Zeitraum vom 27. Juli bis zum 28. Dezember 1906. In dem erwähnten Brief von 1916 erinnert er sich, auch für die Jahrgänge 1907 und 1908 Artikel geschrieben zu haben, allerdings sind aus diesen Jahren keine Ausgaben vorhanden. Bis auf die Ausgabe vom 20. September 1906 mit dem Beitrag An interesting Phenomenon können alle in Frage kommenden Ausgaben im Google News-Archiv eingesehen werden. Nachfolgend eine Auflistung der Ausgaben mit Seitenangabe und Beitragstitel:

  1. 27. Juli (Seite 1) The Heavens for August. Celestial Phenomena to happen next month
  2. 31. August (Seite 1) The Skies of September. Planetary and Stella Motions Described
  3. 7. September (Seite 1) Is Mars an inhabited world? Startling Theories of Prof. Lowell on The Subject
  4. 14. September 1906 (Seite 1) Is there Life on the Moon? Strange Revelations on modern Science
  5. 20. September: An Interesting Phenomenon (fehlt)
  6. 28. September 1906 (Seite 1) October Heavens. Celestial Scenery for the coming month
  7. 5. Oktober 1906 (Seite 3) Are there undiscovered planets?
  8. 12. Oktober 1906 (Seite 2) Can the moon be reached by Man?
  9. 19. Oktober 1906 (Seite 7) The Moon. A brief description of our satellite
  10. 26. Oktober 1906 (Seite 8) Ohne Titel
  11. 2. November 1906 (Seite 5) The Sun. Center of the Planetary System
  12. 9. November 1906 (Seite 5) The Leonids. Directions how to Observe the Coming Shower
  13. 16. November 1906 (Seite 1) Comets. The Wanderers of our System
  14. 30. November 1906 (Seite 5) December Skies. Celestial Events for the Christmas month
  15. 7. Dezember 1906 (Seite 4) The Fixed Stars
  16. 21. Dezember 1906 (Seite 5) Clusters—Nebulae. Strange Bodies of Interstella Space
  17. 28. Dezember 1906 (Seite 5) January Heavens

Bereits die Titel verraten, dass es Lovecraft um mehr ging, als lediglich die aktuellen Himmelsphänomene zu besprechen. Vielmehr war er bemüht, dem Zeitungspublikum grundlegende astronomische Kenntnisse zu vermitteln. Dabei griff er viel diskutierte Themen seiner Zeit auf, etwa die »Marskanäle«, eine lineare Struktur auf dem gleichnamigen Planeten, von der der Astronom Percival Lowell (1855 – 1916) annahm, es handele sich dabei um künstlich angelegte Bewässerungskanäle. Die Theorie implizierte, dass der Mars bewohnt sei und befeuerte die Vorstellung von den sogenannten Marsmenschen. Lovecraft bemerkt, dass Lowells Theorie nicht nur möglich sondern sogar wahrscheinlich sei. Freilich erteilt er allen Spekulationen eine Absage:

»Trotzdem dürfen wir nicht zu voreilig sein, diese Theorie zu glauben, denn Unwissenheit ist allemal besser als falsches Wissen.«[3]

So phantastisch sich Lovecraft später literarisch austoben sollte, sein lebenslanger Skeptizismus allem Übernatürlichen und Unwissenschaftlichem gegenüber, war bereits in diesen jungen Jahren – sprichwörtlich – druckreif.

Anmerkungen:

[1] Joshi, S. T.: I am Providence. The Life and Times of H. P. Lovecraft. Hippocampus Press. New York, 2009. S. 80 – 81

[2] Joshi, S. T.: I am Providence. The Life and Times of H. P. Lovecraft. Hippocampus Press. New York, 2009. S. 21

[3] Lovecraft, H. P.: Is Mars an inhabited world? In: Pawtuxet Valley Gleaner, 7. September 1906, S. 1

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